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Lage der Niere im Körper

Stimme 005

(Vorbemerkung: auch wenn die meisten Spenderinnen Frauen sind, verwende ich hier aus Gründen der Einfachheit und Gleichberechtigung nur die männlichen Begriffe „Spender“ und „Empfänger“)

Mein Mann wusste seit 1994, dass er eine chronische Entzündung beider Nieren hatte, die nach ärztlicher Prognose zwischen 5 und 20 Jahren zur Dialysepflicht führen würde. Ich wusste das seit unserem Kennenlernen 1995, aber es war ja so weit weg.

Die Nieren waren nicht mehr heilbar – die Dialysepflicht konnte nur durch eine ausgefeilte medikamentöse Behandlung und durch eine strenge Diät verzögert werden. Das Umstellen der Ernährung wurde mit jedem Jahr und der Verschlechterung der Nierenleistung schwieriger: kein Salz, nur 60 g Eiweiß, kein Kalium, kein Phosphat, nicht zu viel Fett – wenn man genau hinschaut, bleibt da nicht viel. Essen als Freizeitvergnügen fällt jedenfalls weg. Dazu immer wieder Krisen mit schlecht beherrschbarem Blutdruck, jede Erkältung eine schwierige Situation. Anfang 2000 wurde klar: die Nieren sind am Limit, Entgiftungsleistung bei einem Kreatinin von 3,9 mg/dl unter 30 %. Die Dialyse lag nicht mehr abstrakt in der Ferne, sondern wurde realistische Zukunftsaussicht.

Dies war die erste Situation, in der wir richtig Angst bekamen – weitere Verschärfung der Diät und sicherheitshalber Verzicht auf Urlaub im Ausland. Die Leistungsfähigkeit meines Mannes ließ besonders zum Abend hin stark nach. Im Sommer 2000 dachten wir das erste Mal konkret über eine Lebendnierenspende nach. Der erste Schritt war die Beratung beim Nephrologen über das Vorgehen zur Abklärung, ob ich als Spenderin in Frage käme.

Die Stufendiagnostik erforderte zunächst eine vollständige Anamnese, Blut- und Urinuntersuchung mit Blutgruppenbestimmung und Ultraschall der Nieren – nichts Aufregendes also. Das erste K.O.-Kriterium war die Blutgruppe – wenn die nicht zum Empfänger passt, gibt es für den Spender keine Chance zu helfen.

Im zweiten Schritt stellten wir uns gemeinsam im Transplantationszentrum in Stuttgart vor. Dort wurden noch einmal Blut und Urin untersucht und Ultraschall gemacht. Wichtige Hürde diesmal beim Bluttest: der Cross Match – vertragen sich die weißen Blutkörperchen von Spender und Empfänger? Wenn nicht, ist hier leider Endstation. Als dieses Ergebnis positiv ausgefallen war, bekam ich noch einmal Angst. Die Angelegenheit wurde konkret – ich musste sie nun als Tatsache und nicht mehr nur als Möglichkeit ins Auge fassen.

Aber ich war mir meiner Sache sicher und wir nahmen den dritten Schritt in Angriff. Es folgte ein Szintigramm der Nieren, bei dem mit Hilfe eines radioaktiven Isotops geprüft wird, ob beide Nieren gut ausscheiden und ob sie die gleiche Leistung bringen.

Nachdem auch dies erledigt war, folgte als vierter Schritt eine Nierenangiografie zur genauen Darstellung der Blutversorgung der Nieren. Ein Katheder wird über die Beckenarterie zu den Nieren geschoben und Kontrastmittel eingespritzt. Dazu wird der Spender im Katharinenhospital 3 Tage stationär aufgenommen, denn die Vorbereitung ist sehr gewissenhaft und nach der Untersuchung musste ich 24 Stunden mit Sandsack auf der Einstichstelle flach im Bett liegen. Dieser Untersuchung sah ich ängstlich entgegen, mit leichten Bedenken, ob das Kontrastmittel mir als Allergikerin schaden könnte. Es wurden alle erforderlichen Vorbeugungsmaßnahmen getroffen und schließlich war ich überrascht, wie leicht die Untersuchung für den Patienten auszuhalten ist. Da tut wirklich nichts weh!

Die Untersuchung brachte das Ergebnis, dass bei mir beide Nieren mit zwei Arterien versorgt werden, eine Arterie je Niere ist normal. Je mehr Arterien, desto schwieriger die Operation und desto höher das Risiko. Hier kann also noch mal das „Nein“ der Ärzte kommen, aber bei mir sah es so aus, dass die linke Niere transplantiert werden konnte.

Damit war ich medizinisch als Spender akzeptiert – dieser Prozess erstreckte sich über 4 Monate. Jeder Schritt führte näher ans erwünschte Ziel, warf aber auch immer neu die Fragen auf: tue ich das Richtige? Geht alles gut? Wird die Niere vom Körper meines Mannes akzeptiert? Was ist, wenn alles umsonst war? Wie wird sich all das auf unsere Beziehung auswirken? Wir sprachen immer wieder darüber, aber das Ergebnis war immer dasselbe: Die Chance auf eine wesentliche Verbesserung der Lebensqualität meines Mannes und damit auch meiner eigenen, war groß; die Aussicht, an der Dialyse vorbeizukommen, phantastisch. Mehr Kraft, mehr Spaß, mehr Freiheit – das war es uns wert.

Es folgten nun einige formale Schritte, die zur Klärung dieser Fragen noch beitragen sollten. Aufklärung über Risiken und Erfolgschancen durch zwei Ärzte, Ausfüllen eines Fragebogens zum persönlichen Umfelde und der Beziehung zum Empfänger, Unterschrift unter einen „Vertrag“, der jede Forderung von Spender an Empfänger ausschließt. Und schließlich forderte das Transplantationsgesetz eine letzte Stellungnahme von mir: Vor der Ethikkommission musste ich darlegen, dass die Nierenspende absolut freiwillig und ohne finanzielle Forderungen erfolgt. Natürlich war der Entscheidungsprozess hier für mich schon felsenfest abgeschlossen – daher war die Befragung für mich auch wenig aufregend. Ich finde diesen Pflichttermin außerordentlich wichtig, denn wer sich an dieser Stelle noch nicht sicher ist, ob er das Richtige tut, sollte es vielleicht wirklich lassen. Eine Entscheidung zur Nierenspende ist keine Mutprobe – niemand hat das Recht, einen Rückzug in einer solch schwerwiegenden Angelegenheit negativ zu bewerten! Mein Mann hat mir hier immer sehr geholfen, er machte mir jederzeit deutlich, dass sich in unserer Beziehung nichts ändern würde, wenn ich es mir anders überlegen würde.

Wir waren also sehr früh am Ziel – „warteten“ jetzt nur darauf, dass sich das Befinden meines Mannes bis zur Dialysepflicht verschlechterte. Wir wollten es schaffen, gerade noch so ohne Dialyse zur Operation zu kommen. Als der Termin vereinbart war, fuhr ich noch zweimal zur Eigenblutspende nach Stuttgart – nur für den Fall, dass ich während der Operation Blut verlieren sollte. Die letzten Wochen waren hart, die Behandlung mit Immunsuppressiva schwächte meinen Mann sehr, außerdem hatte er überall am Bewegungsapparat Probleme, unter anderem starke Schmerzen im linken großen Zeh. Am 17.12.2001 kamen wir ins Katharinenhospital um am 18.12. operiert zu werden. Dann der Schock: Kreatinin und Harnstoff sehr hoch, Harnsäurewert deutet auf Gichtanfall, Entzündungszeichen und Kalium sehr hoch. Keine Operation, da Risiko viel zu hoch! Statt dessen Dialyse durch den bereits gesetzten Venenkatheder und drei Wochen warten. Das war wirklich schlimm, aber die Ärzte hatten recht. Das Wichtigste bei einem solchen Wahleingriff ist, dass der Empfänger optimal vorbereitet und der Spender gesund ist. Nichts wäre schlimmer, als das Organ durch unkalkulierbare Risiken zu verlieren. Mein Mann schätzte rückwirkend die Tatsache, dass er kurz an der Dialyse war, weil er so besser ermessen konnte, was ihm durch die Nierenspende erspart blieb.

Also zitterten wir dem neuen Jahr entgegen – mein Mann ging am 3. Januar, ich am 7. Januar wieder in die Klinik. Und diesmal klappte alles: Die Unterbringung im gemeinsamen Zimmer war für uns das wertvollste Detail. Sich am Tag vor dem großen Tag gegenseitig zu stützen und alles gemeinsam zu erledigen, nimmt dem ganzen Prozedere die Spannung. Wir waren ganz entspannt, schliefen gut und trafen uns nach der Operation auf der Intensivstation wieder im selben Zimmer. Die Freude über den gelungenen Eingriff unmittelbar teilen zu können und zu sehen, ja – meinem Mann geht’s gut, das waren unvergessliche Momente. Wenn auch die Details im Dämmerschlaf untergingen. Am ersten postoperativen Tag trennten sich für einige Tage unsere Betten, denn ich wurde wieder auf die Normalstation verlegt, wo wir dann nach vier Tagen bereits wieder im selben Zimmer zusammenfanden. Es war wunderbar, dass wir uns in den ersten Tagen bis zu meiner Entlassung nach 10 Tagen gegenseitig unterstützen, ermutigen und helfen konnten. Natürlich hatten wir Schmerzen – aber das war zu verschmerzen. Mir ging es nach zwei Wochen schon wieder wesentlich besser und nach drei Wochen habe ich wieder gearbeitet.

Mein Mann war ein Musterpatient: die Niere legte noch auf dem OP-Tisch los, und wie! Er erreichte binnen weniger Tage Nierenwerte eines Gesunden. Nur das Resorbieren von Kalium und Phosphat musste die Niere im Verlauf der ersten Wochen noch lernen. Bereits nach zwei Wochen konnte er nach Hause entlassen werden – zugegebenermaßen ist das nicht die Regel, drei Wochen sind normal. Seine Genesung schritt weiter gut voran. Allerdings verursachten die Immunsuppressiva anfangs deutlich spürbare Nebenwirkungen: durch Prograf innere Unruhe, Konzentrationsschwäche und Zittern, durch Cortison ein leichter Diabetes. Nach der Reduktion der Immunsuppressiva-Dosen wurden die Beschwerden besser, werden aber nie ganz verschwinden.

Wir danken allen Ärzten, die uns betreut und operiert haben, sowie allen Schwestern und Pflegern für die fürsorgliche Pflege von Herzen!

Unsere Lebendspende ist nun fast 11 Jahre her. Zum Zeitpunkt der Spende war ich 38 Jahre alt, mein Mann 51. Auch langfristig war unsere Entscheidung ein großer Erfolg. Es gab nie Komplikationen – mein Mann und ich haben beide einen Kreatinin-Wert von 1,1. Mein Blutdruck hat sich nicht verschlechtert, ich fühle mich körperlich fit und treibe Sport, vor allem Schwimmen und Radfahren tun mir gut. Wir konnten in diesen Jahren unserer beruflichen Tätigkeit ohne Einschränkungen nachgehen.

Wir wünschen uns aber vor allem, dass viel mehr Menschen in Deutschland erkennen, wie wichtig die Bereitschaft zur Organspende ist. Die Lebendspende kann den wachsenden Bedarf an Spenderorganen nicht decken. Aber einen Organspendeausweis mit sich zu führen und nahen Angehörigen vorsorglich mitzuteilen, dass man zur Organspende nach dem Tode bereit ist – das würde vielen Dialysepatienten die Chance auf neue Lebensqualität geben und vielen Menschen, die Herz, Lunge oder Leber brauchen, das Leben retten. Im internationalen Vergleich lässt die Nächstenliebe von uns Deutschen beschämend zu wünschen übrig – und deshalb müssen auch so viele Deutsche so lange auf ein Spenderorgan warten. Denn die Spendebereitschaft wirkt sich auf die Verteilung der zur Verfügung stehenden Organe durch Eurotransplant aus.

Für die Lebendspender wurden mittlerweile die rechtlichen Rahmenbedingungen und die Absicherung von möglichen Folgeschäden durch die Versicherungen durch das neue Transplantationsgesetz deutlich verbessert. Dennoch bleiben viele Nachteile und Unsicherheiten am Spender hängen. So wäre es für mich sicher nach der Organspende nicht mehr möglich, eine Lebens- oder Berufsunfähigkeitsversicherung oder gar eine private Krankenversicherung zu vernünftigen Bedingungen abzuschließen. Außerdem fänden wir es gerecht, wenn ein Lebendspender für den Fall, dass er selbst einmal ein Spenderorgan bräuchte, bei Eurotransplant Bonuspunkte erhält.